Singen ist ein Menschenrecht

Karl Adamek – Foto: Der Auslöser – Torsten V.


Interview des Verbandes Deutscher Konzert-Chöre mit dem Singforscher Dr. Karl Adamek

www.heilsamessingen.de


„Das Interview führte Ralf Schöne, Generalsekretär des Verbandes
Deutscher Konzert-Chöre (VDKC). Der Beitrag erschien erstmalig in der
Zeitschrift „CHOR und KONZERT“ (Jahresausgabe 2014, Nr. 136, Februar
2015, 48. Jahrgang), herausgegeben vom VDKC und ist hier mit
freundlicher Genehmigung nachgedruckt.“

VDKC: Sie haben als Sozialwissenschaftler wegweisende Untersuchungen zum
Singen als Alltagsverhalten vorgelegt. Wir vertreten als Verband Deutscher
Konzert-Chöre das Singen als Kunstform. Welche Verbindungslinien sehen Sie?

Karl Adamek: Es sind die gleichen wie zwischen Breitensport und Spitzensport. Je
entfalteter die Alltagskultur des Singens in einer Gesellschaft ist, also je mehr
Menschen einfach für sich gerne und regelmäßig singen, jenseits von Bewertung und
Leistungsdruck, einfach so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, spielerisch und
aus purer Lust am Selbstausdruck, aus Begeisterung und Freude oder zur
spontanen Verarbeitung negativer Gefühle, desto breiter ist die Basis, aus der die
Chöre schöpfen können und desto besser wird ihre Qualität. Wer Spitzenkultur will
sollte sich gleichermaßen für die Förderung der Breitenkultur einsetzen. Beide bilden
eine Einheit. Meine Forschungsergebnisse liefern jedoch viel grundsätzlicher die
Fakten, die eindeutig zeigen, dass Singen zur Natur des Menschen gehört und in
seiner Bedeutung für ein gesundes Leben völlig unterschätzt wurde.

VDKC: Ihre sozialwissenschaftliche empirische Forschungsarbeit „Singen als
Lebenshilfe“ hat vor knapp zwanzig Jahren eine Trendwende eingeläutet. Man kann
heute in Deutschland eine neue Popularität, eine Renaissance des Singens erleben.
Auch Chöre verzeichnen wieder neuen Zulauf. Was war zuvor geschehen?

Karl Adamek: Im Prozess der Nachkriegsjahre und weil Singen in der Nazizeit zur
Manipulation der Gefühle missbraucht wurde galt gemeinsames Singen in der
Bundesrepublik Deutschland zunehmend als peinlich und verschwand in den
folgenden Jahrzehnten weitgehend aus dem Alltag der Menschen. Ein
folgenschwerer kultureller Verfall. Die Entwicklung in der DDR bedürfte einer
gesonderten Betrachtung. Seit Mitte der 1960er Jahre setzte sich bundesweit eine
pädagogische Singabstinenz in Kindergarten und Schule immer mehr durch. Das
Singen wurde aus den Ausbildungsrichtlinien für Erziehinnen und Lehrer gestrichen.
Man hielt es und hält es bis heute im rational orientierten Bildungskanon für überflüssig. Chöre beklagten in der Folge bis vor einigen Jahren noch allgemeinen
Mitgliederschwund und Überalterung.

VDKC: Aufgrund Ihrer Forschungsergebnisse wurde im Jahr 1998 die pädagogische
Geringschätzung des einfachen Singens in einer Resolution des Deutschen
Musikrates als schwerwiegenden Irrtum erkannt. Was haben Sie herausgefunden?

Karl Adamek: Vielleicht zuerst einmal zu den erstaunlichen Schussfolgerungen, die
sich aus meinen empirischen Befunden ergeben: Das Singen gehört zweifellos zur
Natur des Menschen wie das Sprechen. Singen erfüllt lebenswichtige Funktionen.
Ohne Singen kann der Mensch seine Potenziale als mitfühlendes, denkendes,
kreatives und glücksfähiges Wesen nicht voll entfalten. Durch Singen stärkt der
Mensch vor allem sein Mitgefühl, sein Vertrauen, seine Begeistungsfähigkeit, seine
Lebensfreude, seine Widerstandskraft und seine körperlichen und geistigen
Handlungskräfte. Die Überlieferungen der Völker bergen dieses Wissen. Wir finden
dort oft erstaunlich entwickelte Alltagskulturen des Singens. Sie sind aber auf dem
Weg in die Moderne abgetan worden und weitgehend verfallen. Die Wissenschaft hat
sich zuvor für dieses Gebiet nicht sonderlich interessiert. Das beginnt sich seit der
Veröffentlichung meiner Forschungsergebnisse zu ändern. Der Mensch hat sich auch
hier im Laufe der Entwicklung von seiner Natur entfernt und braucht im
Vorwärtsschreiten auch Rückbesinnung.

VDKC: Dann verfügen wir in Deutschland also noch über große ungenutzte
Potenziale?

Karl Adamek: Ja, da ist noch viel möglich. »Singer« sind gegenüber »Nicht-Singern«
in vielerlei Hinsicht im Vorteil. Gesellschaften mit einer intakten Alltagskultur des
Singens sind entsprechend besser gestellt im Vergleich zu Gesellschaften, die in
dieser Hinsicht unterentwickelt sind. Als »Singer« bezeichne ich in diesem
Zusammenhang Menschen, die sich im Verlauf ihrer Sozialisation durch die Eltern,
das soziale Umfeld, den Kindergarten, die Schule, die Jugendgruppe etc. Singen als
Alltagsfähigkeit durch Lernen aneignen konnten.

VDKC: Mit welchen Fakten begründen Sie derart weitreichende Schlussfolgerungen?

Karl Adamek: Ende der 80er Jahre unternahm ich das erste Mal in der
Wissenschaftsgeschichte eine umfangreiche individualpsychologisch-empirische
Untersuchung zur Bedeutung des Singens für ein gesundes Leben mit mehr als
eintausend Personen. Meine Forschungsfragestellungen erwuchsen aus persönlicher
Erfahrung und waren knapp folgende: Warum kann der Mensch singen? Ist es für
den Menschen existenziell bedeutsam? Anhand des klinischen Persönlichkeitstests
FPI zeigte sich: »Singer« sind im Vergleich zu »Nicht-Singern« durchschnittlich
gesünder und zwar sowohl psychisch als auch physisch. Sie sind durchschnittlich
lebenszufriedener und glücklicher, sind ausgeglichener und zuversichtlicher, haben
ein größeres Selbstvertrauen, sind häufiger guter Laune und verhalten sich im
Durchschnitt sozial verantwortlicher und hilfsbereiter. Durch alltägliches Singen kann
der Mensch positive Lebenshaltungen entfalten und seinen Gemeinsinn fördern.

VDKC: Diese Ergebnisse betreffen, wenn ich das richtig verstehe, die Persönlichkeit
als Ganzes. Hat denn Singen auch unmittelbar einen positiven Einfluß auf die
Psyche?

Karl Adamek: Anhand des Konzentrationsleistungstests K-L-T fanden wir heraus,
dass der Mensch durch sein Singen ganz unmittelbar seine psychische
Leistungsfähigkeit signifikant erhöhen kann. Beim Singen werden komplexe
Prozesse im Körper und in der Psyche in Gang gesetzt. »Singer« sind auch
durchschnittlich psychisch belastbarer, haben mehr Widerstandskraft, wie sich im
Persönlichkeitstest nachweisen ließ.

VDKC: Es gibt Aussagen von Menschen, die in den Wirren des 2. Weltkrieges auf
der Flucht waren und berichten, dass sie fast ununterbrochen gesungen haben. Sie
hätten sonst diese unglaublichen körperlichen Anstrengungen nicht bewältigen
können.

Karl Adamek: Bei einem physischen Leistungstest konnten wir zeigen: Schon durch
zwanzigminütiges Singen kann ein Mensch sich zu einer signifikant höheren
körperlichen Leistungsfähigkeit aktivieren. Viele Berichte von Menschen in
Extremsituationen lieferten schon ein lebendiges Zeugnis dieser Wirkung des
Singens. Sie wurden aber als Kuriosum nicht weiter systematisch beachtet. Meine
sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnisse wurden in den folgenden Jahren
durch erste naturwissenschaftliche Detailforschungen und ihre Ergebnisse bestätigt.

VDKC: Welche halten Sie für besonders wichtig?

Karl Adamek: Die aus der Neurobiologie. Der Mensch kurbelt zum Beispiel durch
sein Singen, wenn er ohne Leistungsstress singt, unwillkürlich die Produktion
sogenannter Glückshormone wie Serotonin und Dopamin im Gehirn an. Wir sind also
in der Lage, uns in einen glücklichen Blick auf die Welt zu singen, was unsere
konstruktive Handlungsfähigkeit erhöht und antidepressiv wirkt. Ein weiteres Beispiel
ist das sogenannte Bindungshormon Oxytocin, das beim Singen verstärkt im Gehirn
produziert wird. Wir brauchen Oxytocin, um Mitgefühl empfinden und uns sozial
verhalten zu können. Über die Ankurbelung der Glücks- und der Bindungshormone
stärkt gemeinsames Singen die sozialen Bindekräfte und den Gemeinsinn und wird
somit potenziell zum Gestaltungsmittel für soziale Gemeinschaften. Zugleich werden
Aggressionshormone abgebaut. Welche Bedeutung ein bewusster Einsatz des
Singens allein unter diesem Aspekt für unsere Gesellschaft haben kann, kann man
sich leicht vorstellen. In der UNO gibt es von Verantwortlichen warnende Stimmen,
dass der Mangel an Empathiefähigkeit und die emotionale Verarmung der Kinder
weltweit in den nächsten 10 bis 20 Jahren zu einem der größten Probleme der
Menschheit werden könnte. Wie der Neurobiologe Gerald Hüther betont, fördert
Singen von der frühesten Kindheit bis ins hohe Alter die gesunde Funktionsweise
und Potenzialentfaltung des Gehirns. Es vertreibt angstbedingte Verkrampfungen
und stärkt all jene neuronalen Netzwerke, die eine positive Lebenshaltung vermitteln.
Das sind vor allem Vertrauensstrukturen, die als Grundlagen für die Empfindung von
Liebe und Mitgefühl fungieren. Das sind doch erstaunliche Ergebnisse. Und die
Erforschung des Singens beginnt gerade erst.

VDCK: Gibt es denn schon Erklärungsansätze, warum das Singen eine solch
erstaunliche Wirkung entfalten kann?

Karl Adamek: Eine interessante Erklärung können wir aus den Theorien des
chinesischen Biophysikers Chang Lin Zhang ableiten: Ihm zufolge sind wir,
biophysikalisch betrachtet, ein komplexes Gebilde von Tausenden ineinander
verwobenen Schwingungssystemen. Wenn diese Schwingungssysteme nicht
harmonisch miteinander schwingen, bedeutet das Krankheit. Beim Singen
harmonisieren wir demnach, vereinfacht gesagt, unwillkürlich unseren Organismus
durch die erzeugten Schwingungen und entsprechende Resonanzphänomene. So
stärken wir die gesunden Strukturen. Wir können unseren Organismus als ein
Orchester beschreiben, das bei Gesundheit gut gestimmt spielt und bei Krankheit
verstimmt ist. Singen wirkt auf den Organismus wie das Stimmen der Instrumente.

VDKC: Eine spannende Theorie. Gibt es noch weitere handfeste Befunde?

Karl Adamek: Erfreulicherweise ja. Immer mehr Wissenschaftler haben in den letzten
Jahren die lange unterschätzte Bedeutung des Singens als neues Forschungsfeld
entdeckt. Dabei wurden meine grundlegenden sozialwissenschaftlichen Befunde
immer wieder durch weitere naturwissenschaftliche Details untermauert. Es konnte
zum Beispiel nachgewiesen werden, dass beim Singen verstärkt Immunglobulin A
produziert also konkret die Immunabwehr gefördert wird. Eine andere Untersuchung
brachte erste Belege, dass durch Singen die Herzratenvariabilität signifikant
gesteigert wird und damit die Herzfunktionen verbessert werden.

VDKC: Gelten diese Befunde nur für Erwachsene oder auch für Kinder?

Karl Adamek: Grundsätzlich gelten sie für jede Altersstufe. Unsere Untersuchung
„Singen in der Kindheit“ an der Universität Münster aus dem Jahre 2009 mit 500
Kindergartenkindern in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt Münster
gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Thomas Blank zeigte, wie all diese
entdeckten Einzelbefunde zusammenwirken: Kinder, die viel singen, werden den
amtsärztlichen Untersuchungen zufolge als durchschnittlich schultauglicher
eingestuft als Kinder, die nicht singen. Vor allem wird dadurch die
Sprachentwicklung, die Basis jeglichen weiteren Lernens, und das Sozialverhalten
nachhaltig gefördert. Die Liste positiver Wirkungen des Singens ließe sich beliebig
fortsetzen. Am wichtigsten ist aber vielleicht die Erkenntnis, dass der Mensch durch
sein Singen wirkungsvoll Angst auflösen kann.

VDKC: Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?

Karl Adamek: Denken Sie an Kinder, die intuitiv anfangen zu singen, wenn sie in den
Keller gehen, um die Angst zu vertreiben. Sie würden es nicht tun, wenn es nicht
wirken würde. Beim Singen werden die sogenannten biologischen Marker von Angst
wie zum Beispiel Zwerchfellhochstand außer Kraft gesetzt. Beim Singen produziert
das Gehirn verstärkt Hormone, die der Angst besser entgegenwirken als alle
heutigen Psychopharmaka. Denn beim Singen wird zugleich auch noch die
Produktion von Glückshormonen wie das Serotonin hochgefahren, was kein
Medikament vermag. Singen aktviert auf vielfältige Weise die „innere Hausapotheke“
und fördert die Selbstregulation des Organismus. Singen ist – mit einem
Augenzwinkern gesagt – nachweislich ein individueller und sozialer
Gesundheitserreger.

VDKC: Warum halten Sie die angstlösende Wirkung des Singens für besonders
bedeutsam?

Karl Adamek: Angst ist ein lebenswichtiges menschliches Gefühl. Sie warnt den
Menschen in einer akuten Situation vor möglichen Gefahren und aktiviert kurzfristig
große Potenziale, die lebensrettend sein können. Wenn die Angst ihre Aufgabe erfüllt
hat, löst sie sich im gesunden Organismus wieder auf. Angst als Dauergefühl ist
jedoch als Krankheit anzusehen, denn dann wirkt sie zerstörerisch. Das Problem:
Angst ist zur Grundbefindlichkeit der meisten Menschen hier geworden. Das hat
vielfältige negative Auswirkungen und kann zu Depressionen führen. Die
Weltgesundheitsorganisation sieht in der epidemischen Entwicklungstendenz von
depressiven Erkrankungen in Europa eine äußerst ernst zu nehmende Gefährdung,
weil die zu erwartenden Kosten die Volkswirtschaften zugrunde richten könnten.
Angst geht an die Wurzeln des Lebens. Denn Angst als Dauerzustand zersetzt die
individuelle und soziale Gesundheit. In Angst reduziert sich die Fähigkeit zu Mitgefühl
drastisch. Angst geht immer mit einer tendenziellen motorischen, vegetativen und
mentalen Lähmung einher. In Angst können wir also nur einen Bruchteil dessen tun,
wozu wir in Freude und Begeisterung in der Lage sind. Zugleich besteht die Gefahr,
dass Angst mit aufbrechender Aggression und Gewalttätigkeit kompensiert wird. Was
die Folgen sind, das sehen wir überall in der Welt.

VDKC: Also würden Sie sagen, jeder Mensch sollte singen, unabhängig davon, ob er
es besonders kunstfertig kann?

Karl Adamek: Ja, unbedingt. Aber die Forschungsergebnisse weisen noch weiter. In
den Menschrechten wird jedem Menschen das Recht zugesprochen, sich seiner
Natur gemäß zu entfalten. Die neuen Forschungen zeigen: Singen gehört eindeutig
zur Natur des Menschen, denn es erfüllt wesentliche Lebensfunktionen.
Entsprechend hat bereits heute schon jeder Mensch ein Menschenrecht auf die
Entfaltung seiner ganz persönlichen Singfähigkeit, obwohl dies noch nicht explizit
formuliert wurde geschweige denn im allgemeinen Bewusstsein ist.

VDKC: Wie könnte es dort ankommen?

Karl Adamek: Das ist natürlich ein langer Weg, für den sich viele engagieren müssen.
Die Alltagskultur des Singens braucht eine Lobby mit breiter Basis in der
Bevölkerung. Denn es braucht auch finanzielle Investitionen. Aber es gibt jetzt viele
gute Gründe. Es ließe sich zum Beispiel berechnen, wie schnell jeder Euro, der in
eine Alltagskultur des Singens investiert wird, volkswirtschaftlich Rendite abwirft.
Nicht nur die Gesundheitskosten würden sinken. Kinder würden spielerischer lernen
usw. Aber auch betriebswirtschaftlich sind solche Investitionen wirtschaftlich, weil
man beispielsweise den Krankenstand dadurch reduzieren kann. Die Liste lässt sich
beliebig fortsetzen.

VDKC: Lassen Sie mich nochmal darauf zurückkommen, dass jeder eigentlich schon
implizit ein Menschenrecht auf die Entfaltung seiner naturgegebenen Singfähigkeit
hat. Wäre das nicht das entscheidende Argument für ein Engagement in diesem
Bereich?

Karl Adamek: Vielleicht. Es ist ein ethisches Argument, das vielleicht viele Menschen
aufgeschlossen macht. Aber die Bedeutung von lebendigen Alltagskulturen des
Singens reicht noch viel weiter. Singen als ein natürliches Potenzial des Menschen
wird durch die Forschungsergebnisse als eine weitgehend brach liegende Ressource
für die Menschheit erkennbar, deren optimale Nutzung mir auf dem Weg zur
Entfaltung der Vision eines friedlichen Zusammenlebens der Menschengemeinschaft
unverzichtbar erscheint. Diese Ressource kann jetzt systematisch genutzt werden.
Aber auch missbraucht, wie die Geschichte zeigt. Aber das ist ein anderes wichtiges
Thema.

VDKC: Angesichts von scheinbar unlösbaren Problemen auf der Welt sehen Sie also
noch Hoffnungsschimmer für die Menschheit?

Ein Bild, das Menschliches Gesicht, Person, Lächeln, Kleidung enthält.

Automatisch generierte Beschreibung Karl Adamek: Durchaus. Krisen bringen auch Chancen. Wenn der Mensch die in ihm
ruhenden Potenziale zu Mitgefühl voll entfalten lernt, dann hat er meines Erachtens
gute Chancen, die erkennbaren Zukunftsprobleme zu lösen. Man könnte sagen, dass
die Probleme der Menschheit aus einem Ungleichgewicht von Denken und Fühlen
geboren werden. Das Mitgefühl ist verkümmert und daran gerät die Welt aus den
Fugen. Hier kann die Entfaltung der Alltagskulturen des Singens offenbar eine nicht
unwichtige Rolle spielen. Denn durch sein Singen hat der Mensch potenziell ein
Werkzeug, seinen inneren Frieden immer wieder neu zu finden und seine
Empathiefähigkeit auszubauen. Er kann so immer wieder die Kraft generieren, sich
für den sozialen Frieden zu engagieren. Die Entwicklung der Qualitäten des
Einzelnen werden heute immer mehr erkennbar als Voraussetzung für eine friedliche
Weltentwicklung.

VDKC: Das klingt hoffnungsvoll. Und wo soll angefangen werden?

Ein Bild, das Menschliches Gesicht, Person, Lächeln, Kleidung enthält.

Automatisch generierte Beschreibung Karl Adamek: Die Anerkennung des Singens als implizites Menschenrecht sollte der
geistige Ausgangspunkt für die Initiierung einer breiten Bewegung für lebendige
Alltagskulturen des Singens weltweit sein. Vor 17 Jahren habe ich deshalb unter der
Schirmherrschaft von Yehudi Menuhin die Organisation Il canto del mondo –
Internationales Netzwerk zur Förderung der Alltagskultur des Singens e.V. gegründet
und seither ehrenamtlich begleitet. Wir haben uns zum einen der Popularisierung
der Forschungsergebnisse bei den politisch Verantwortlichen, den Chorverbänden, in
Artikeln und Radio- und Fernsehsendungen gewidmet. Unser praktischer
Schwerpunkt sind Kindergartenkinder, weil hier die Grundlage für die Zukunft gelegt
wird.

VDKC: Was haben Sie da initiiert?

Ein Bild, das Menschliches Gesicht, Person, Lächeln, Kleidung enthält.

Automatisch generierte BeschreibungKarl Adamek: Das Generationen verbindende Singpatenprogramm Canto elementar,
das ich ab 2001 ehrenamtlich als Konzept für grundsätzlich alle Kindergärten
entwickelte und erprobte, war dort, wo es stattfand, erfolgreich und erhielt 2011 den
Gunther und Juliane Ribke Preis für besondere musikpädagogische Leistungen,
2012 den Deutschen Nationalpreis, 2013 wurde es vom Bundesbildungsministerium
als Bildungsidee für Deutschland gekürt und 2014 im Wettbewerb startsocial – Hilfe
für Helfer unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin Angela Merkel als
Preisträger ausgezeichnet. Jetzt geht es um Kooperationspartner für den
bundesweiten Ausbau. Vielleicht wird das aber erst für alle Kindergärten möglich,
wenn Singen als ein Menschenrecht verstanden, dies von vielen eingefordert und mit
Unterstützung durch die Politik umgesetzt wird.


VDKC: Danke für das Gespräch


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